In einem aufwühlenden Page-One-Dossier illustriert die NYT, mit welchem Ausmaß an geschichtlicher Ignoranz und Dummdreistigkeit sich die Bush-Regierung und die CIA nach 9/11 ans Foltern machten. Die Idee war simpel: Einige der im Militär-Trainingsmanual beschriebenen Folterpraktiken sollten ausgewählt werden, Anwälte des White House in den jetzt berühmten Memos Straffreiheit garantieren. Und die Al-Kaida-Vögel zum Singen gebracht werden! Der Plan wurde ohne nennenswerte Debatte genehmigt – und Amerikas Image für Generationen ruiniert. Wahrscheinlichen waren für Bush die Argumente auf einem der legendären Einseiten-Zettel mit Bullet Points aufgelistet worden. So zirka: 1) Folter bringt Schurken zum Singen! 2) Zum Teufel mit lästigen Fußnoten wie dem internationalen Recht. 3) Unsere Justizgenies werken bereits an der Legalisierung der Folter. 4) Und überhaupt: Zur Hölle mit der Weltmeinung.
Und niemand, so die NYT, inklusive CIA-Chef Tenet, hatte die Geschichte der Folter berücksichtigt. Die im Militärhandbuch beschriebenen Methoden waren als Abschreckung gedacht. Das gesamte Arsenal des Horrors sollte US-GIs eingetrichtert werden, sollten sie selbst mal Folterknechten in die Hände fallen. Eine der beschriebenen perfiden Techniken: Waterboarding, populär seit der spanischen Inquisation, gerne angewandt unter Pol Pot (eine der Vorrichtungen ist sogar im kambodschanischen Völkermordmuseum zu bestaunen). Was Bush-Krieger ebenfalls übersahen: Die USA hatte in Kriegsverbrecher-Tribunalen nach Weltkrieg II feindliche Waterboarder angeklagt. Doch nicht nur die Geschichtsschreibung hatte in Bushs War Room nichts zu suchen: Auch Experten, die Folter für ineffizient und kontraproduktiv halten, kamen nicht zu Wort.
Jetzt schupft Nachfolger Barack Obama das toxische Erben wie eine heiße Kartoffel herum: Zuerst dachte er, die Freigabe der Memos bei gleichzeitiger Straffreiheit für die Folterer, sei ein tragfähiger Kompromiss. Schwerer Irrtum. Die Details, wie die 183 Waterboarding-Sessions für Top-Terroristen Mohammed, führten zu einem Sturm der Entrüstung – von der UNO bis in die Editorial-Etagen führender US-Blätter.
Jetzt lenkte Obama ein und schloss Strafverfolgung für die cleveren Austüfftler von Amerikas Rückfall in die Barbarei nicht mehr aus. Klar: Eine Hexenjagd, die die Kommandokette hinauf bis zu Bush und Cheney reicht, würde das Land derart polarisieren, dass Obamas „Change“-Agenda in einem jahrelangen Skandal-Feuersturm verenden würde. Er wolle in die Zukunft blicken. So weit, so fair, so pragmatisch: Doch wie besonders liberale Kritiker einwandten, kann er sich auch nicht vor der historischen Verantwortung drücken, den Folterskandal aufzuarbeiten. „So etwas darf nie wieder passieren“, wütete zu Recht TV-Kommentator Keith Olbermann. Vielleicht ist die Idee einer überparteilichen Truth Commission á la Südafrika wirklich die beste Lösung.